Nachdem die Ausstellung pandemiebedingt zwei Monate lang nur in weiß verhülltem Zustand durch das geschlossene Schaufenster zu sehen war, haben wir am 23. März die acht Skulpturen enthüllt. Bis auf Weiteres kann der Raum des Kunstverein Ruhr (wie auch andere Galerien und Museen) unter Einhaltung der Hygienevorschriften und nach vorheriger Anmeldung und Absprache eines Zeitfensters von bis zu 3 Personen gleichzeitig besucht werden. Das ist momentan dienstags bis freitags von 12 bis 18 Uhr möglich. (0201-226538)
FORT, das sind die Künstlerinnen Alberta Niemann (*1982) und Jenny Kropp (*1978), arbeiten mit alltäglichen Dingen und scheinbar vertrauten Situationen, die nachgebaut, inszeniert und verfremdet werden. Alltagsszenarien werden adaptiert und in den Ausstellungsraum übertragen. Die so entstehenden Raumsituationen, skulpturalen Objekte und Videos haben oft einen subtil-surrealen Charakter und erwecken trotz ihrer vermeintlichen Vertrautheit in der Regel eine Atmosphäre von Unheimlichkeit, Leere und Verlassenheit.
FORT loten in ihren Arbeiten und ihrem Denken immer wieder verborgene Zwischenräume im Alltäglichen und Vertrauten aus: Sie setzen dabei auf Poesie und auf eine Kombinatorik, die in ihrem Charakter an Lautréamont und die später durch ihn beeinflussten Surrealisten erinnert. Deshalb sind die Arbeiten auch immer wieder in der Lage, an (noch) nicht gedachte, nicht bewusste und außerhalb unserer Gewissheiten liegende Bereiche anzuknüpfen. Die fast allen Werken innewohnende Melancholie erweist sich bei genauer Betrachtung als hintergründig, bisweilen doppelbödig. Die Arbeiten spielen immer wieder mit den Sehgewohnheiten der Betrachtenden, lassen sie überrascht innehalten und angesichts eigener möglicher Assoziationen mitunter ein wenig schaudern. Doch zeichnen sie sich immer wieder auch durch einen sowohl subtilen, als auch Betrachterinnen und Betrachter entlastenden Humor aus.
Das Künstlerinnenduo hat eine durch das Schaufenster einsehbare, aber vor allem auch direkt begehbare Ausstellung aus acht zum Teil größeren Werken geschaffen, die sich zu einer erlebbaren Inszenierung ergänzen, deren Besuch sich wirklich lohnt. Betritt man den Raum, beginnen die Arbeiten sofort miteinander zu korrespondieren und in den Köpfen der Betrachtenden unterschiedliche Verknüpfungen, Gedanken, Bilder und Geschichten auszulösen. Auf diese Weise entsteht immer wieder etwas Drittes, Neues, Überraschendes.
Der Titel INNER CIRCLE lässt (wie auch die anderen Werktitel) vielfältige Bedeutungsassoziationen zu. Sie reichen von Engstem Kreis, Eingeweihten, aber auch Ausschluss, Elite bis Verschwörung. Was auch immer man mit dem Begriff verbinden mag und kann, wird zum Bestandteil einer ästhetischen Erfahrung, die sich vor allem beim Betrachten der Werke zu präzisieren vermag. Die Ausstellung wird bis Sonntag, den 02. Mai 2021 verlängert. An diesem Tag wird, wenn es die Umstände und Regeln zulassen, um 16 Uhr eine Finissage stattfinden, bei der auch der für die Ausstellung entstandene Katalog vorgestellt werden soll.
FORT Inner Circle, 2020
Garderobenständer, 6 Perücken
3 Unikate in einer Serie von 3
Titelgebende Bestandteile der Ausstellung sind drei klassische Kleiderständer, Gebrauchsgegenstände aus Bugholz, welche in dieser Form seit etwa 150 Jahren im Gebrauch sind. Solche Möbelstücke gehörten um 1900 zum Inventar vieler Häuser und Wohnungen und heute findet man sie noch in Restaurants oder Cafés, die sich ein gewisses Pariser, oder Wiener Flair verleihen möchten. Ein derart mobiler und relativ leichter Kleiderständer aus Ahorn oder Buchenholz hat gegenüber einer fest installierten Garderobe mit stabilen Wandhaken den Vorteil, dass er überall in einem Raum platziert werden kann. Diese nützliche Eigenschaft und die geschwungenen, von vielen als zeitlos empfundenen Formen sorgten für die weltweite Verbreitung des schlanken Möbels. Vor allem den Gebrüdern Thonet und ihrer Herstellerfirma GTV, aber später auch anderen Manufakturen ist es zu verdanken, dass der Prototyp des meist dunkel gebeizten Kleiderständers sich ab 1905 nicht nur weltweit verbreiten, sondern auch zum Vorbild für viele ähnliche Modelle werden konnte. Innerhalb der Ausstellung INNER CIRCLE aber weisen diese drei Klassiker unübersehbare Merkwürdigkeiten auf: An ihren Haken hängen keine Kleidungsstücke, wie Mäntel, Jacken oder Hüte, sondern jeweils sechs auf den ersten Blick als „weiblich“ zu deutende Langhaarperücken. Pro Kleiderständer haben wir es mit sechs Perücken in jeweils drei Farbtönungen, blond, brünett und schwarz zu tun. Diese nicht zufällig platzierten. gleichmäßig frisierten und arrangierten Haarteile irritieren auf den ersten Blick. Denn auf diese Weise werden in der Regel Hüte oder Mützen an einer Garderobe aufgehängt: Aber nicht die zu einer Person gehörenden Haare! Die Vorstellung, dass sechs Trägerinnen (oder Träger?) ihren identischen Haarschmuck an der Garderobe abgegeben haben, nötigt den Betrachtenden durchaus ein Stirnrunzeln, vielleicht aber auch ein unsicheres Schmunzeln ab. Das Bild von sechs kahlköpfigen Frauen, potentiell identischen Sechslingen, die sich hier ihrer Haarpracht, als wären es Hüte, entledigt haben, hat durchaus etwas Makabres, Groteskes, ja Beängstigendes, ist doch das radikale Entfernen einer als weiblich und damit auch erotisch zu konnotierenden Haarfülle nicht wie ein normaler Vorgang (als nähme man einen Hut ab) erklärbar. Stattdessen machen sich bei etwas näherer Betrachtung Befremden, Skrupel vielleicht auch Ängste, oder gar die unheilvolle Ahnung, es hier vielleicht mit Anzeichen menschlicher Tragik zu tun zu haben. Natürlich geschehen derartige unwillkürliche Verknüpfungen oder plötzlich aufscheinende Gänsehaut erzeugende Vorstellungen und Bilder hier auf einer der Kunst vorbehaltenen symbolischen Ebene. Etwas, das nicht schlüssig im Sinne eines linearen Verhältnisses von Ursache und Wirkung erscheint, löst auch im Rahmen einer ästhetischen Betrachtung eine Menge Fragen und Hintergründigkeiten aus. Klassische Kleiderständer aus Bugholz und nach Haarfarbe geordnete Perücken sind für sich gesehen Readymades. Gegenstände des Alltags, die, unbearbeitet und so wie sie vorgefunden wurden zu bewussten künstlerischen Setzungen werden. Erst ihre Kombinatorik löst eine Kette von möglichen Bedeutungen und eine für das Werk von Fort typische Hintergründigkeit aus. Im Kopf unwillkürlich entstehende Gedanken und Bilder machen schließlich die Betrachtenden zu Vollendern des Kunstwerks. In ihren Assoziationen, Vorstellungen, Erinnerungen, Zweifeln, Ein-Bildungen und Projektionen formiert sich schließlich etwas, das der Comte de Lautréamont einst als Schönheit bezeichnete. Sein berühmtes Diktum von der „… zufällige(n) Begegnung eines Regenschirms mit einer Nähmaschine auf einem Seziertisch“ aus dem sechsten Band seiner 1869 verfassten „Gesänge des Maldoror“ bildet schließlich eine der wichtigsten Grundlagen für die über ein halbes Jahrhundert später entwickelten surrealistischen Methoden, Denk- und Verfahrensweisen. Es geht, wie übrigens auch in der Arbeit von FORT, keineswegs um willkürliche Verknüpfungen disparater Elemente, sondern um das Erkennen und präzise Ausloten von Möglichkeiten poetischer Produktion, die den Zufall, das Unbewusste, das Vor- und Nicht-Gewusste auf besondere Weise thematisieren und in eine künstlerische Form zu bringen vermögen.
FORT Second Floor Temptation, 2018
Treppengeländer, künstliche Pralinen
Unikat aus einer Serie von 5 + 1 AP
20 x 103 x 20 cm
Ein kurzes Geländer begleitet die zwei nach unten führenden Stufen am Eingang der Ausstellung. Es könnte auf den ersten Blick zum Ausstellungsraum gehören und bedürfte keiner weiteren Beachtung, wären da nicht die fünf Pralinen, die gleichmäßig verteilt auf dem schwarzen Handlauf liegen und ein verlockendes Hindernis bilden. Unterschiedliche Formen, helle und dunkle Beige- und Brauntönungen der Schokoladenmasse sind hier zu finden, kunstvoll dekoriert mit Pistazienstückchen, einer Walnusshälfte oder mit hellem und dunklem Streifenmuster. Eine von ihnen erinnert mit ihrer sicher köstlichen Füllung an ein kleines Törtchen und ist in goldglänzend plissierte Stanniolfolie gegossen. Allesamt fünf kleine Köstlichkeiten, die hier aufgereiht auf dem Handlauf zu warten scheinen und die Betrachtenden verwundern und zugleich irritieren. Die Kombination des banalen Alltagsgegenstands mit den verführerischen Konfekten klingt auch im Titel dieser Arbeit an. Second Floor Temptation. Die „Versuchung im zweiten Stock“ lässt im Kopf der Betrachterinnen und Betrachter verschiedene Assoziationen, Deutungsmöglichkeiten, oder auch Geschichten zu. Die Vorstellung, mit der Hand über einen Handlauf zu gleiten und auf diese köstlichen Hindernisse zu stoßen, sie gar mit Daumen und Zeigefinger einzeln von ihrer Unterlage zu nehmen und nacheinander zu verspeisen, gehört ebenso zu den hier naheliegenden Bildern, wie die eher ernüchternde Erkenntnis, dass sich innerhalb der Kunst derartige Berührungen oder gar Übergriffe verbieten. Das war auch schon die Regel bei der historischen Eat Art in den 1960er und 70er Jahren. Eine Ausnahme bildet „Portrait of Ross in L.A.“ aus dem Jahr 1991 von Felix González-Torres, bei der das Paradigma der ästhetischen Distanz in ein allmähliches Auflösen und Verspeisen eines Haufens Bonbons verwandelt wird. Bei Second Floor Temptation hingegen bleiben die Pralinen unberührt, ihr taktiles Begreifen verbietet sich von selbst. Das könnte daran liegen, dass diese Kombination aus Pralinen und Geländer im Kontext einer Ausstellung sofort als künstlerische Setzung erkannt wird, was sicher noch dadurch verstärkt wird, dass von diesem appetitlichen Konfekt keinerlei Schokoladenduft ausgeht. Die Gefahr, dass diese Köstlichkeiten vergiftet sein könnten, sollte also durchaus zum Spielraum der Überlegungen gehören. Ästhetisches Räsonnement anstelle olfaktorisch-leiblicher Genüsse. Abstand, statt Berührung, Betrachtung statt Einverleibung. Aber darum geht es ja: die Verführung im zweiten Stockwerk findet in der Fantasie der Betrachtenden statt, wo sie ihr eigentliches Terrain hat und sich in mannigfacher Ausmalung und Ausuferung in alle nur möglichen Richtungen entfalten kann.
FORT C.V., 2020
8 Schuhpaare Gr. 26-40 mit gravierter Innensohle (C.V.) auf Wandhalterung
Edition von 3 + 1 AP
Wie zum Schuhappell stehen sechzehn schwarze Herrenschuhe sorgfältig aufgereiht an der weißen Wand des Ausstellungraums. Auf einem feinen Schuhregal platziert scheinen sie auf den ersten Blick einige Zentimeter über dem Boden zu schweben. Auffallend ist bei dieser merkwürdigen Zeile das allmähliche Anwachsen der Schuhgrößen in Leserichtung. Haben wir es bei dem Paar ganz links mit kleinen Kinderschuhen zu tun, finden sich am rechten Ende Schuhpaare in Erwachsenengrößen. Genauer betrachtet handelt es sich in dieser achtfach konformen Progression um den klassischen Herrenschuh des Typs Oxford, der sich vor allem durch Schlichtheit und Eleganz auszeichnet. Erkennbar an seiner geschlossenen Schnürung und der quer oberhalb der Zehen verlaufenden Vorderkappennaht, wirkt dieser Schuh wie aus einem Guss. Männer, die solche Schuhe zu einem Business- oder Nadelstreifenanzug tragen, haben es in der Regel nicht nötig, durch modische Accessoires aufzufallen, sondern wollen durch Understatement überzeugen. So gesehen gehören die Schuhe zu einem klassischen elegant-gediegenen Dresscode, wie er vornehmlich noch immer in der Geschäfts- und Finanzwelt zu finden ist. Und doch ist noch etwas anderes bei diesen wachsenden Paaren bemerkenswert. Auf der Innensohle aller sechzehn Exemplare finden sich die Initialen C.V., die als Abkürzung Rätsel aufgeben. Geht es hier um eine besondere Schuhmarke oder um das Monogramm des potentiellen Trägers, für den diese Fußbekleidung angefertigt wurde, wie man es auch von maßgeschneiderten Hemden und anderen persönlichen Gegenständen kennt? C.V. könnte indessen auch für die gebräuchliche Abkürzung des lateinischen Curriculum Vitae stehen, was im Rahmen dieser konformen, aber wie im Leben fortschreitenden Reihung einen anderen, noch schlüssigeren Sinn ergibt. Wörtlich übersetzt heißt Curriculum Vitae nichts anderes als Lebenslauf. Wir kennen sowohl die lateinische, als auch die deutsche Form des sprichwörtlichen Lebenslaufs bei Bewerbungen und Personenbeschreibungen, in denen die Daten eines Lebensweges tabellarisch aufgelistet und zusammengefasst werden. Hier aber korrespondiert der kurze, ein Leben auf den Begriff bringende Titel mit dem, was wir 1:1 vor uns sehen: Schuhwerk für das kontinuierlich fortschreitende Leben eines Menschen. Auf symbolischer Ebene könnten diese gleichen, aber langsam und stetig größer werdenden Basis-Kleidungsstücke für einen vorformulierten Lebensweg, eine vorbestimmte Karriere stehen, in die es hineinzuwachsen gilt. Die solch gediegenem und zugleich standardisiertem Schuhwerk innewohnende Konformität lässt auf eine dem potentiellen Träger unterstellte, abverlangte Anpassungsbereitschaft schließen, auf das Einverständnis, einen vorgezeichneten Weg einzuschlagen, eine gesellschaftliche Rolle zu spielen, in einem System zu funktionieren. Doch im Rahmen der Kunst gelangen derartige Erwägungen nicht wie Rezepturen, Vorbilder oder gar Lösungen zur Anschauung, sondern als Symbole und Dispositive, die wahrzunehmen und zu überdenken die Betrachtenden eingeladen sind.
FORT The Visit, 2019
Vorhang, Schuhe, Motor und Technik
Unikat innerhalb einer Serie von 5
273 x 360 x 35 cm
Ein großer Vorhang aus schwerem rosafarbenem Samtstoff bedeckt im hinteren Teil des Ausstellungsraumes beinahe die gesamte Wand. Die Drapierung des Stoffes in viele senkrechte Falten gibt ihm den Charakter eines Theater-, Kino- oder Saalvorhangs, hinter dem sich der Bühnenraum, eine große Leinwand, oder eine Fensterfront befinden könnten. Ein solcher Vorhang verbirgt, was sich hinter ihm befindet, trennt höchst effektiv die Sphären davor und dahinter und wird erwartungsgemäß irgendwann zur Seite gezogen, um den Blick auf das Wesentliche freizugeben. Doch der Vorhang im Ausstellungsraum macht keinerlei Anstalten sich zu bewegen, um das, was sich hinter ihm befindet, zu zeigen. Stattdessen bemerken die aufmerksamen Betrachterinnen und Betrachter ein kleines, anfangs übersehbares Detail: Zwei Fußspitzen, mit rotbraunen Schuhen bekleidet, ragen unter dem Saum hervor. Es sind eigentlich nur wenige Zentimeter des Schuhwerks, die uns innehalten und schließlich leicht schmunzeln oder auch erschaudern lassen. FORT arbeiten hier in der Tat bewusst mit dem, was man im Film Suspense nennt. Ein dramaturgisches Mittel, durch das sich eine Gefahr oder Gefährdung andeutet, die von den Protagonisten der filmischen Handlung in der Regel nicht, oder noch nicht erahnt wird. Zuschauer werden auf diese Weise zu Komplizen des Autors und Regisseurs - unabwendbares Unheil oder gar ein Mord deuten sich an, wofür vor allem der Altmeister Alfred Hitchcock bekannt wurde. Für FORT ist Suspense ein probates ästhetisches Mittel, das in ihren Werken mehrfach zum Einsatz gelangt Im Falle von The Visit handelt es sich indes auch um ein bewusst inszeniertes Déjà Vu, um ein im kollektiven Gedächtnis bereits abgespeichertes Bild. Doch wir haben es hier keineswegs nur mit einem statischen Zitat um seiner selbst willen zu tun. Denn bei genauem Hinsehen fangen zu unserem Erstaunen die beiden Schuhe an, sich zu bewegen. Auf der einen Seite wissen wir, dass es sich um eine bildhafte Inszenierung handelt, auf der anderen Seite erhalten wir durch die Bewegung noch einmal Indizien dafür, dass sich hinter dem Vorhang vielleicht ein Mensch befinden könnte. Wie von selbst werden die Besucherinnen und Besucher zu Beteiligten einer in den Realraum des Kunstvereins übertragenen Filmdramaturgie. Die Eindrücklichkeit und Wirkmächtigkeit dieses „lebenden Bildes“ lässt uns trotz oder gerade wegen seines Minimalismus in einem reflektierten Schaudern, das durchaus auch durch ein erkennendes Schmunzeln begleitet werden kann, innehalten.
FORT Ohne Titel, 2020
Aktenkoffer mit Türspion
Unikat aus einer Serie von 3
Als sei er von einem Besucher abgestellt und vergessen worden, steht ein schwarzer Aktenkoffer hinter einem Raumpfeiler. Ein handlicher, flacher metallverstärkter Schalenkoffer mit üblichem Griff und einem Zahlenschloss, wie man ihn mitsamt seinem Träger vor allem in Banken- und Geschäftsvierteln, mitunter auch in Fernzügen und Fliegern zu sehen bekommt. In der Regel von dezent gekleideten Männern mit sich geführt, mögen solche Gepäckstücke wichtige Dokumente, Sitzungsunterlagen, Verschlussakten und andere wichtige Materialien enthalten. In einem solchen Behältnis kann man standesgemäß etwas Wichtiges und Wertvolles sicher verschlossen von einem Ort zum anderen transportieren. Man denke an die berühmten Geldkoffer voller Dollarscheine aus vielen Filmen, oder besonderes an Tarantinos mysteriösen schwarzen Koffer in Pulp Fiction, der, wenn man ihn öffnete, goldgleißendes Licht ausstrahlte. Schwarze Aktenkoffer gibt es also bereits als Bilder und Vorstellungen. Nicht die offensichtliche Deplatzierung eines solchen bekannten Gegenstands im Ausstellungsraum lässt uns innehalten, sondern etwas sehr Ungewöhnliches, das sich auf seiner Seitenfläche entdecken lässt. Anfangs möchte man seinen Augen nicht trauen, doch bei genauerem Hinsehen wird es klar. Dieser Koffer weist zwei eingebaute Türspione auf. Sorgfältig in das schwarze Kunstleder eingelassen, scheinen sie das, was sich außerhalb des Koffers befindet, im Sinne einer Überwachungskamera observieren zu wollen. Die Tatsache, dass es sich hier um ein Binokular handelt, das automatisch einem menschlichen Augenpaar ähnelt, macht die Angelegenheit noch rätselhafter. Will diese hier platzierte kleine Beobachtungsstation etwa Personen und Vorgänge wie ein Mensch, also räumlich sehen und nachverfolgen? Was könnte die dem Koffer implantierte Roboteroptik sonst für einen Sinn haben? Weil der still am weißen Pfeiler verharrende Gegenstand nachhaltig eine Antwort verweigert, müssen wir in unserem Gedankengang die Richtung wechseln. In einer rein linearen Wahrnehmung sind das sehende Subjekt und das gesehene Objekt strikt voneinander getrennt. Das Gesehene ist dem Sehenden mehr oder weniger voyeuristisch ausgeliefert. Subjekt und Objekt sind klar voneinander geschieden, was die Einseitigkeit der Beziehung beschreibt. Hier aber scheint etwas zurückzuschauen. Zumindest qua Doppeloptik die Möglichkeit des reziproken Sehens einfordern zu wollen. Das, was wir sehen, blickt auf einmal auf uns zurück. Womit wir automatisch auch bei den zunehmend in Geschäften, Kassenräumen, Passagen, Bussen, und Bahnen installierten Überwachungskameras wären, die man zunehmend an Decken und Ecken öffentlicher Räume entdecken kann und wohl auch soll. Es gibt aber auch noch eine weitere, eher kulturell bedingte Komponente besagter Reziprozität . Das Verhältnis der meisten nicht-europäischen Kulturen gegenüber der Welt wird eben durch die sichere Annahme geprägt, dass das, was ich sehe, auch selbstredend in der Lage ist, auf mich zurückzublicken. Das aber beleuchtet eher den Unterschied zwischen Europa und dem Rest der Welt.
FORT Liaison (7), 2020
Gefundene Objekte
Unikat in einer Serie
Zwei beige-graue Wandtelefone hängen im Ausstellungsraum, als seien sie hier einst ans Telefonnetz angeschlossen worden, Offensichtlich noch aus den 1980erJahren stammende Tastenapparate, deren Gehäusen und gewundenen Kabeln man das Alter auch ein wenig ansieht. Objets trouvés, wie man sie heute noch auf dem Flohmarkt, oder bei einer Hausauflösung finden könnte. Ausgediente Hardware, mit deren Hilfe vor etwa vier Jahrzehnten noch regelmäßig kommuniziert wurde. Inzwischen durch neuere Kommunikationstechnologien überholt und folgerichtig ersetzt. Derart im Kunstkontext präsentiert erübrigt sich die Frage, ob diese Apparate noch im technischen Sinne „funktionieren“. Es geht um etwas anderes. Der Titel Liaison legt durchaus nahe, an eine Beziehung zu denken, gar an eine in der Bedeutung des französischen Wortes anklingende kurze Liebschaft. Die den Apparaturen auf diese Weise unterstellte Symbolik, eine hier qua Titel anklingende Gefühlslage und sich daraus ergebende Möglichkeit zwei technische Apparate zum Gegenstand ästhetischer Erwägungen, Fragen und Projektionen zu machen, sind Bestandteil der künstlerischen Vorgehensweise. Die Telefone hängen zudem sehr dicht nebeneinander, ihre Hörer sind eingehängt, Kommunikation findet offenbar nicht (mehr) statt. Das zu einer Spirale gewundene, vergleichsweise längere Kabel des linken Apparates liegt auf beiden Plastikgehäusen, beinahe wie ein Arm, der eine Schulter umfasst. Dieses stille Arrangement innerhalb der Präsentation lässt wohlwollende Betrachterinnen und Betrachter innehalten. Wer war einst, wie oft und wie lange im sprichwörtlichen Sinne „am Apparat“? Wie viele lauschende Ohren und sprechende Münder sind diesen Hörern derart taktil nahegekommen? Wie viele tausend Wörter und Sätze wurden dabei ausgetauscht? Welche Gespräche mögen einst durch diese Apparaturen geführt worden sein? Ging es um rein sachliche Anordnungen, geschäftsmäßige Auskünfte, um Drohungen gar und Beschimpfungen? Oder um zärtliche Liebeserklärungen und Sätze, die die Hörenden am anderen Ende der Leitung erröten ließen? An der Wand des Ausstellungsraumes hängen nach wie vor zwei alte Tastentelefone. Doch als Liaison werden sie zum Ausgangspunkt für mannigfache Fragen und Erwägungen.