Björn Behrens untersucht die Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen der Fotografie als Bildmedium. Für ihn ist sie somit keine bloße Hilfstechnik zur Herstellung gewünschter Bild-Resultate. Sein Interesse beginnt bei den physikalisch- chemischen Grundlagen der Fotografie und geht bis zur Befragung, und letztlich auch kritischen Infragestellung ihrer bild- und sinnstiftenden gesellschaftlichen Rolle. Behrens interessiert auch der Kontext, in dem ein Foto entsteht und zur Anwendung kommt. Er widmet seine künstlerische Arbeit der Erforschung dieser Zusammenhänge. Der Fotografie selbst kommt dabei eine erkenntnisstiftende und damit auch entscheidende Rolle zu, denn sie liefert nicht nur sinnfällige Bild-Belege, sondern ist zugleich Untersuchungsgegenstand und Thema der gesamten Arbeit. Behrens‘ experimentelle Arbeitsweise, seine zum Teil brisanten Einbeziehungen gefundener Bilder und Objekte variieren und erweitern das Thema found footage, readymade und objet trouvé auf inhaltlich fundierte, durchaus repräsentationskritische Weise. Wir haben es hier (wie Wolfgang Ullrich es formulieren würde) mit konzeptueller Fotografie im Zeitalter fortschreitender Digitalisierung, also mit einer künstlerischen Herausforderung zu tun. Björn Behrens vermag sie durch seinen experimentellen überaus medienkritischen Ansatz zu erweitern, zu parieren und in neue künstlerische Bahnen zu lenken.
Die Serie Based on truth III besteht aus mehreren imposanten hochglänzenden grün-schwarzen Bildern, die durch Langzeitbelichtungen von etwa 15 bis 20 Minuten in fast dunklen Räumen entstanden sind. Diese Arbeiten sind weniger der Kategorie des perfekten Bildes als Sichtbarkeitsbeweis, als derjenigen der experimentellen Fotografie zuzuordnen, welche andere, über das Wiedererkennen hinausgehende Einsichten einzuleiten vermag. Zudem muten die dunklen, das Licht reflektierenden und die Betrachter spiegelnden Bildtafeln insgesamt wie ungegenständliche Kunst, oder wie „abstrakte Kompositionen“ an. Behrens hat für diese Serie mehrere leere Museums- und Galerienräume bei Nacht mit sehr langer Belichtungszeit fotografiert. Die einzigen vorhandenen Lichtquellen sind die schwachgrün leuchtenden obligaten Hinweise auf den Notausgang. Doch reicht deren geringe Lichtausbeute aus, um in langer Belichtungszeit beeindruckenden Bilder zu generieren, die auf den ersten Blick wie abstrakte Kompositionen anmuten. Björn Behrens hat den Standpunkt seiner Kamera, das Objektiv und am Ende auch die von ihm festgelegten Bildausschnitte so gewählt, dass sich aus Wandverläufen, Durchgängen, Deckenelementen, also aus der gesamten „leeren“ Innenarchitektur regelrechte Bildgefüge ergeben, die wie durchorganisierte ungegenständliche Malerei anmuten. Moderne funktionale Ausstellungsarchitektur wird durch den künstlerischen Blick in die Lage versetzt, das Formenvokabular der konstruktivistischen Avantgarden (de Stijl, Bauhaus und russischer Konstruktivismus) im Bild anklingen zu lassen. Natürlich ist das kein Zufall (den es im künstlerischen Sinne ohnehin nicht gibt), sondern eine künstlerische Entdeckung und präzise Entscheidung. Mit den Mitteln der Fotografie werden Grundlagen der Moderne, also zum Beispiel auch der Einfluss des Bauhauses auf die Architektur der Gegenwart, sichtbar gemacht. Im Idealfall werden die hochglänzenden grün-schwarzen Bilder am Ende gar in den Ausstellungsräumen gezeigt, in denen sie entstanden sind. Und die Tatsache, dass sich die Betrachterinnen und Betrachter in diesen hochglänzenden Bildern spiegeln, also von vornherein zu Bestandteilen der räumlich wirkenden Kompositionen werden, trägt zu einer mit ihnen verbundenen besonderen ästhetischen Erfahrung bei. Der Betrachter (die Betrachterin) ist stets im Bild.
Basedon Promises IV, 2019. Eine Mattscheibe, die als Bestandteil einer analogen Großbildkamera dazu dient, das jeweilige Motiv zu betrachten und exakt zu justieren, wurde direkt auf lichtempfindliches Filmmaterial gelegt. Durch Belichtung entsteht auf diese Weise ein Fotogramm, das Negativ der Mattscheibe. Nachdem dieses wiederum im selben Verfahren auf Film umkopiert wurde, war das Resultat eine fotografische 1:1 Entsprechung der weißen Mattscheibe mit ihren dünnen schwarzen Linien. Behrens wiederholt diesen Vorgang mit fünf verschiedenen Mattscheiben unterschiedlicher Rasterung und legt die Resultate auf einem Leuchttisch übereinander. Das so entstandene komplexe Linienmuster gleicht einem Universalraster, welches potentiell in der Lage wäre, alle möglichen Bilder, die mit einer Großbildkamera gemacht werden könnten, zu ermöglichen. Durch dieses additive Verfahren werden die Parameter der analogen Fotografie, die viele Jahre das non plus Ultra des Fotobildes darstellten, direkt und konzentriert zur Darstellung gebracht. Das so entstandene Bild zeigt also kein Motiv, das sich außerhalb der Kamera befunden hat, sondern macht auf direkte Weise das optische Regelsystem im Innern der Kamera sichtbar. Das geometrische Muster ist die bildgewordene Zusammenfassung der Betrachtungsweisen, die die analoge Foto-Apparatur ermöglicht.
Based on Promises III, 5, 2020.Wir haben hier einen massiven stählernen Rahmen mit 6 hell leuchtenden Neonröhren vor uns. Materielle Grundlage der international gebräuchlichen Citylight Poster. Prototyp der auf zwei Seiten Werbebotschaften aussendenden im Stadtgebiet sichtbaren Werbeträger. In Ungarn dienen diese leuchtenden Bildttafeln auch dazu politische Botschaften zu verkünden und werden direkt im Wahlkampf eingesetzt. So wie der leere Rahmen hier platziert ist, mutet er eher wie eine minimalische Plastik an. Und diese Referenz an die Gegenwartskunst macht in diesem Kontext auch Sinn. Björn Behrens fand in Budapest besagte Citylight Poster inmitten politischer Auseinandersetzungen. Die in ihnen verkündeten Botschaften wurden übermalt, überklebt und ausgelöscht – zum Teil von staatlichen Stellen. Insofern ist dieser Rahmen ein Readymade im klassischen Sinne, enthält aber eine nicht sofort erkennbare politische Bedeutungsebene.
Based on Promises III, 1, 2017.Nicht weit von diesem skulptural anmutenden Rahmen, lehnt eine passende Glasscheibe an der Wand des Ausstellungsraumes. Auch hier ist es ein in die Kunst integriertes Faktum Brutum, augenfälliger Beweis einer öffentlichen Zensurmaßnahme aus dem Jahr 2016. Die einst hinter dieser Scheibe vorhandene Botschaft der Oppositionspartei Jobbik wurde von unbekannten Personen mit schwarzer Farbe mit breiten gerollten Strichen übermalt und unlesbar gemacht. Was aber ist das Besondere daran? Man konnte vor der Übermalung auf dem Plakat lesen: „elopják a pénzt“ – Sie stehlen Dir Dein Geld. Diese subversive politische Botschaft aber wurde in einer nächtlichen Aktion unsichtbar gemacht. Behrens fiel auf, dass die regimekritischen Parolen durch eine Art „expressiv-gestische“ Malerei überdeckt wurden, was den unbekannten Zensoren sicher nicht bewusst war, denn sie führten ihren Auftrag ohne jede gestalterische Absicht aus. Doch diese Übermalungen muten indessen wie abstrakte, gestisch-expressive Malerei an und lassen uns mitunter an Bilder von Robert Motherwell, Hans Hartung oder Pierre Soulages, Franz Kline oder anderer westlicher Künstler denken. Björn Behrens misst dem (staatlich?) verordneten Unterbrechen offener Kommunikationsflüsse insofern Bedeutung zu, als ihn diese Übermalungen in ihrem heftigen Gestus an Bilder erinnern, die in Westeuropa und Nordamerika vor einem halben Jahrhundert als Ausdruck von individueller Freiheit, Subjektivität, Spontaneität und Unmittelbarkeit gelten durften. Diese mit einem gewissen Schmunzeln einhergehende Erkenntnis enthält auch einen subversiven Kern, denn innerhalb einer Ausstellung erhalten die Fotografien dieser gestischen Machwerke einen entlarvenden, ja aufklärerischen Impetus. Die Tatsache, dass eine originale gestisch bemalte große Glasscheibe, die einst ein City Light Poster bedeckte, zeigt Behrens‘ künstlerische Affinität zum Objet trouvé und zum Readymade. Das etwa im Duktus der Moderne bemalte Factum Brutum wurde kurzerhand von Behrens zum gleichberechtigten Bestandteil der Serie gemacht. Offensichtliche Zensur geht in Kunst über, die auf mehreren Sinn- und Erkenntnisebenen gleichzeitig zu wirken vermag.
Based on Promises V,1, 2020, Based on Promises V2, 2020. Zwei große, eher an ungerahmte Zeichnungen, als an Fotografien erinnernde Blätter hängen übereinander. Bei genauem Hinsehen, vermag man schematisch die Eingangsfront des Ausstellungsraumes des Kunstverein Ruhr zu entdecken. Einmal von innen, das andere Mal von außen. Doch was zeigen diese unscharfen wie Negative wirkenden Sichtbarkeitsbeweise genau? Diese Bilder sind an einem späten Winterabend mit einer Wärmebildkamera gemacht worden und zeigen neben den Konturen der Fassade mit ihren Fenstern und der Eingangstür auch die Wärmeausstrahlung der Architektur. Besonders auffällig ist bei der Innenaufnahme der lange weiße horizontale Streifen in der unteren Bildhälfte. Hier schlägt sich der vor dem Schaufenster befindliche Heizkörper als besonders warm nieder, während die Glasscheibe des Fensters die Kälte der Nacht dunkel repräsentiert. Die Außenaufnahme kehrt dieses Verhältnis um und ist in der Lage den beheizten Innenraum als relativ helle Fläche zu markieren. In beiden Fällen ist ein heller wirkender senkrechter Schatten bemerkenswert, handelt es sich doch um ein vom Spiegelbild des fotografierenden Künstlers ausgelöstes Wärmephänomen.
Zur Ausstellung ist bei nomen nominandum buch (www.nn-buch.de) ein von Behrens gestaltetes Künstlerbuch mit einem Text (deutsch/englisch) von Peter Friese erschienen.