Christian Haake
Nachbilder
26. August bis 14. Oktober 2012
Für den Ausstellungsraum des Kunstverein Ruhr am Essener Kopstadtplatz hat Christian Haake eine besondere Choreographie entworfen, in der vier Elemente sinnfällig miteinander korrespondieren und sich zu einer Rauminstallation verbinden. Schon auf den ersten Blick fällt ein Eingriff in die Architektur des Raumes auf: Die beiden Raumpfeiler auf der rechten Seite wurden zu rahmenden Elementen einer uns aus den 1950er und -60er Jahren bekannten Sorte von „Stadtmöblierung“. Es handelt sich in der Tat um eine Außenvitrine, wie sie zur Zeit des Wirtschaftswunders etwa zum Straßenbild des Kurfürstendamms in Berlin oder der Königsallee in Düsseldorf gehörte: Einst sollten diese ostentativ nach außen verlagerten Warenpräsentationen Flaneure und zielstrebige Fußgänger auf ihren Wegen ablenken und zum Hinsehen verführen. Sie waren gefüllt mit Luxuswaren, Schuhen, Handtaschen und anderen Accessoires und wollten auf diese Weise den Konsum auf der jeweiligen Einkaufsstraße fördern.Was einst zur Prosperität unserer Städte beitragen sollte, kann indessen bei fehlenden Mitteln, mangelnder Konsumbereitschaft, Geschäftsaufgabe und Leerstand zum brutalen Indiz ihrer Unwirtlichkeit werden. Und eine solche nun leer stehende, etwas verwahrloste Vitrine erscheint hier vor unseren Augen, sobald wir den Ausstellungsraum betreten
Die besondere Vorgehensweise Haakes besteht darin, dass er eine solche Vitrine nicht im Sinne eines Readymades oder schlicht als Factum Brutum übernimmt und in den Raum stellt, sondern dass er sie aus seiner Erinnerung heraus ohne Zuhilfenahme von Maßangaben, Fotos oder Zeichnungen aus Holz und Glas detailgenau konstruiert. Mit anderen Worten: Das im Ausstellungsraum zu sehende verglaste Gebilde mit seinen für die Jahre des Wohlstands und Fortschritts typischen diagonalen Kantenverläufen (siehe etwa die Grugahalle) ist als Ganzes erst im Jahr 2012 entstanden. Sämtliche Details des Stadtmöbels wurden nicht einem vorhandenen Original nachgebildet, sondern aus der Erinnerung heraus konstruiert, was typisch für Haake ist. Selbst die hier sichtbaren Gebrauchsspuren, eine gewisse Patina und die Anzeichen von Verfall und Verwahrlosung gehören mit zur detaillierten Vorgehensweise.
Christian Haake betreibt auf diese Weise Erinnerungsarbeit besonderer Art: Er ruft mit seinen Werken Bilder in uns wach, die sich im Laufe der Zeit im kollektiven Gedächtnis eingelagert haben, und lässt sie modellhaft konkret vor unseren Augen Gestalt annehmen. Die Tatsache, dass es sich dabei nicht um exakte 1:1 Entsprechungen eines ganz konkreten Gegenstandes, sondern um Nachempfindungen ganz besonderer Art handelt, bestätigt geradezu die Gewissheit, dass ein solches Display des Wirtschaftswunders vor einem halben Jahrhundert wohl so ausgesehen haben muss.
Links neben der Vitrine vermittelt eine auf die Wand projizierte Videoarbeit eine geradezu unendlich erscheinende Reise durch ein Einkaufszentrum, wie wir es von Düsseldorf, Oberhausen, Mülheim, neuerdings auch vom Limbecker Platz in Essen und aus vielen anderen Städten kennen. Allerdings erscheint dieses Labyrinth des Konsums im Gegensatz zu den genannten „Malls“ hier befremdlich leer und im Zustand des Verfalls. Weder Warenauslagen noch Menschen sind zu sehen. Die lakonische Kamerafahrt mit ihrem eigenwilligen rauschendem Soundtrack im Hintergrund scheint nicht enden zu wollen. In den USA nennt man ein solches in Konkurs gegangenes und damit in der Folge damit leerstehendes Einkaufszentrum „White Elephant“. So lautet auch der Titel des 2011 entstandenen Videos. Auch in diesem Fall hat Christian Haake seine Aufnahmen nicht in einem realen Einkaufszentrum gemacht, sondern in einem dafür eigens angefertigten 2 x 4 m großen Modell. Verblüffend ist die Detailgenauigkeit der zersplitterten Schaufenster, der abgefallenen Kacheln und der im ganzen Szenario vorherrschenden Melancholie.
Haake zeigt uns etwas, das wir schon einmal gesehen zu haben glauben. Doch diese Erinnerungen erweisen sich als konstruierte „Nachbilder“ und Visionen, die uns nachdenklich machen und Rätsel aufgeben. Ihr Bezug zur Wirklichkeit unserer Städte, zum Konsumalltag und zu einer Ungewissheit, machen sie zu melancholischen, aber der Realität überaus angemessenen Kommentaren unserer Gegenwart.
Auf der rechten Wand des Raumes hängt ein auf den ersten Blick seltsam und kostbar anmutendes, goldglänzendes quadratisches Bild. Das, was auf den ersten Blick wie kleine Goldbarren von hohem Wert anmutet, erweist sich auf den zweiten und dritten Blick – vor allem unter Berücksichtigung seines englisch anmutenden Titels- als Katzengold. „Blister“ steht für tiefgezogene Plastikfolien und Verpackungsmaterial, wie es heute überall in den Supermärkten als „Verschweißung“ zur Anwendung kommt. Haake hat hier in der Tat eine goldglänzende Folie mit Waffelmuster zur Anwendung gebracht, wie sie häufig bei Räucherlachspackungen als Unterfütterung zum Einsatz kommt. Hier hängt, wenn man so will, ein echtes Readymade vor uns, dessen schöner Schein durch ein sorgfältig gelasertes Passepartout besonders edel und verführerisch zur Geltung kommt.
Auf der linken Wand des Raumes sehen wir ein hochformatiges Bild. Auf den ersten Blick mutet es minimalistisch streng und vielleicht an konstruktivistische Malerei à la Joseph Albers, oder gar an Malevic’s berühmtes „Schwarzes Quadrat“ erinnernd an. Auch hier bringt uns der Titel dieses Werks auf eine heiße Spur: „Zeitung / Die Zeit“ meint in der Tat eine komplette Ausgabe der in Hamburg erscheinenden wöchentlichen Gazette. Christian Haake hat mit der Schere den Bildteil und den Textteil voneinander getrennt, beide Teile einzeln geschreddert und mit Wasser versetzt. Der so entstandene hell und dunkelgraue Papierbrei wurde zu Quadraten verstrichen, die von ihrer Flächenausdehnung exakt das Verhältnis von Bild und Text wiedergeben. Die Gesamtfläche des hellgrauen Anteils entspricht dabei exakt der Zeitungsgröße.
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