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Carl Emanuel Wolff
TROMMLER UND FISCHE

7. Dezember 2019 bis 9. Februar 2020

Im Werk des Essener Künstlers Carl Emanuel Wolff (der in Dresden lehrt) begegnen uns Tapire, Wildschweine, Fische, Bären, aber auch merkwürdige Zwerge und Gestalten, die wie Mischwesen aus Mensch und Tier anmuten. Diese Plastiken entstehen im Bronze- oder Aluminiumgussverfahren, werden als Keramiken modelliert, aber auch aus Alltagsmaterialien hergestellt. Im Ensemble bilden diese Werke offene Strukturen, in denen die Bedingungen für die Wahrnehmung eines Kunstwerks immer wieder aufs Neue zur Disposition stehen. Die Möglichkeiten der Betrachter sich auf die Werke einzulassen, Beziehungen zwischen ihnen herzustellen und durch eigene Beobachtungen und Assoziationen zu ergänzen werden zur Grundlage einer im Werk dieses Künstlers angelegten ästhetischen Erfahrung. Carl Emanuel Wolff kombiniert im Schaufensterraum des Kunstvereins mehrere seiner Plastiken zu einer von außen einsehbaren aber auch innen begehbaren Installation, die wesentlich mehr ist, als die Summe ihrer Einzelelemente.

Aber beginnen wir noch einmal bei den Plastiken als solchen. Gleich hinter dem Eingang des Ausstellungsraumes und damit sofort ins Auge fallend entdecken wir ein merkwürdiges, an einen Tapir oder Ameisenbären erinnerndes Wesen, das mit seiner langen rüsselartigen Nase potentielle Besucherinnen und Besucher ins Innere des Raumes zu locken scheint. Doch nicht so sehr die ungewöhnliche Tiergestalt lässt Passanten und Besucher staunen und schmunzeln, sondern vor allem das Material, aus dem sie gemacht worden ist. Carl Emanuel Wolf hat hier eine Unmenge von Feuerwerkskörpern so mit einander verbunden, dass sie am Ende gestalthaft verdichtet zutreffend und erkennbar diese Tierfigur ergeben. Bemerkenswert dabei ist nicht nur die die skulpturale Methode, die man als Assemblage oder besser noch Bricolage bezeichnen kann, sondern die von den Feuerwerkskörpern stimulierte Vorstellung einer Kettenexplosion. Also die sich schon beim ersten Sehen wie von selbst aufdrängende Frage, was passieren würde, wenn jemand ein Streichholz an eine der vielen Zündschnüre halten würde...Unvorstellbar....?!

Mit einer solchen sich wie von selbst stellenden Frage aber ist man schon mitten in einer Auseinandersetzung, die durch die Plastik selbst stimuliert worden ist. Mit anderen Worten: Es gibt etwas, das diese Figuren gemeinsam haben und das schon vom Beginn der Betrachtung an über das reine Wieder-Erkennen hinausweist. Sie sind in der Lage, etwas bei den Betrachtenden auszulösen, das mehr ist als ein bloßes Zur-Kenntnis-Nehmen oder ebenso simples Schön-Finden. Die Gestalt des Tapirs mag für dieses „Mehr“ an Erfahrung und eine damit verbundene Auslösefunktion beispielhaft sein, denn schon bald nach dem Entdecken der tierhaften Gestalt merken die Besucher, dass es hier nicht um Naturbetrachtung oder um Bedeutungszuweisungen im Rahmen einer an Brehms Tierleben erinnernden Fauna geht, sondern potentiell um etwas anderes.

Die Feuerwerkskörper, aus denen sich die Figur konstituiert, erleichtern in der Tat einen solchen Abstraktionsschritt, der uns bei der Betrachtung helfen kann. Schließlich ergibt die Vorstellung einer laut krachenden vorerst nicht enden wollenden Explosionskette eine durchaus wirksame Assoziation, ein starkes Vorstellungsbild, das weit über ein Schulterzucken oder etwaige zoologische Erwägungen hinauszuweisen vermag.

Betrachten wir in diesem Sinne noch eine weitere Figurenkonstellation innerhalb der Ausstellung: Die Trommler. Da gibt es zunächst zwei aus Aluminium gegossene Gestalten, die in etwa wie Mischwesen zwischen Mensch, Bär und Elefant anmuten. Signifikant sind hier vor allen die Teddyohren und der Elefantenrüssel der beiden ansonsten weitgehend anthropomorphen Gestalten. Ein wenig könnten Science Fiction Fans auch an Gestalten aus der Weltraum Saga Star Wars erinnert werden: Aliens aus einer anderen Galaxie. Vielleicht auch zwei zu etwas komischen Gestalten mutierte Verkörperungen des würdevollen indischen Gottes Ganesha, einem analogen Mischwesen mit Elefantenkopf und Menschenkörper. Sie stehen zusammen im Ensemble mit einer sie überragenden sehr dunklen, eher silhouettenartigen Gestalt mitten im Raum dem Schaufenster zugewandt, als wollten sie gleich auf den vor ihnen stehenden Trommeln in Richtung Kopstadtplatz ein lautstarkes Trommelkonzert geben.

In der Tat unterscheiden sich die drei Trommler voneinander. Während die silbrig glänzenden rüsseltragenden Mischwesen mit ihren Knopfaugen und Teddyohren ihre Trommelstöcke über einer Art Kesselpauke zum Einsatz bringen möchten, erscheint der dritte Trommler im Bunde völlig aus dieser Art geschlagen. Fast wie eine dunkel oxydierte monumentale Stahlskulptur der Moderne mutet er auf den ersten Blick an. Vor sich ein wie ein Baumstamm anmutender Zylinder, in beiden Händen je ein Paukenschlägel. Doch die Anatomie dieser dunklen Gestalt zeigt viele Unregelmäßigkeiten und Auffälligkeiten. Räumt man diesem Trommler das Recht auf eine relativ hohe Abstraktionsstufe ein, sticht doch die riesige kreisförmige Öffnung in seinem Oberkörper gleich ins Auge. Sollten hier etwa Skulpturkonzepte der Moderne (z. B. Barbara Hepworth´s Raumbegriff) Pate gestanden haben? Auf jeden Fall spielt dabei die anatomisch höchst unkorrekte, um nicht zu sagen orthopädisch bedenkliche Verankerung oder Aufhängung der Schlägel haltenden Arme auch eine gewisse Rolle. Der rechte Fuß des Riesen hat eine enorme Vergrößerung erfahren und vermag nun als Klumpfuß die aufrecht stehende Figur zu stabilisieren. Das linke Bein hingegen fungiert als Spielbein, welches sich spiralförmig, fast schlangenartig nach hinten hin weiterentwickeln möchte.

Es wird klar, dass diese Gestalt nach vollkommen anderen Prinzipien geformt wurde, als die beiden silbrigen Rüsselbären. Während Letztere im fast traditionellen Sinne als Aluminiumgüsse, also im Hohlgussverfahren, hergestellt worden sind, wurde der große dunkle Trommler aus Polyurethanschaum aufgebaut und später schwarz gefasst. Sein Anthropomorphismus ist eher schematisch. Er entspricht mehr einem abstrakten Formgefüge aus länglichen rauen Kompositionselementen, als einem am Körper eines Menschen oder Tieres orientierten organischen Ganzen, wie es bei den Rüsselträgern und bei den noch zu betrachtenden Fischen der Fall ist. Während die schrundige und schorfige Oberfläche der schwarzen Figur an rostiges Eisen, oder gar an raue dunkle Schlacke erinnert, glänzen seine kleineren glatten Gefährten silbrig-metallisch. Und doch entdecken wir bei genauem Hinsehen auch hier die Spuren des Formprozesses. Fingerabdrücke, Vertiefungen, glattgezogene Flächen – alles Indizien dafür, dass es hier um plastische Prozesse, um Verformungen und Arbeit am Material geht. Auch wenn die skulpturalen Form-, Körper- und Raumauffassungen der beschriebenen Figuren (Tapir, Trommelbären, schwarzer Trommler) grundverschieden sind, bilden sie hier doch eine aufeinander abgestimmte und den gesamten Raum des Kunstvereins dominierende Figurenkomposition.

Es war schon von den Fischen die Rede: Als auf dem Boden liegendes großes kohärentes Element bilden sie die Mitte der Gesamtkomposition. Es sieht auf den ersten Blick so aus als hätten sich die Trommler um diesen Fischhaufen wie um ein Lagerfeuer gruppiert. Die lachsartigen Wesen artikulieren sich in dieser Konstellation bewusst nicht als einzelne Fische, sondern als zusammenhängender Fischhaufen oder Hügel. Die großen, etwa einen Meter messenden Wasserbewohner sind ebenso wie die Rüsselbären im Aluminiumgussverfahren entstanden. Das heißt, es sind faktisch Hohlgüsse. Sie repräsentieren aber nach wie vor eine über die Schwerkraft vermittelte Anhäufung von ehemals weichen, nachgiebigen Tonwülsten. So kamen sie als am Ende zu Fischen vervollkommnete Tonzylinder einst im Atelier des Künstlers zu liegen. Und sie thematisieren als fertige Güsse auf ihre Weise den durch eine solche Stapelung zustande gekommenen Formprozess. Der Verlauf des Hügels, die Wölbung, die er beschreibt, ergibt auch noch als erkalteter und harter Guss den schwerkraftbedingten Verlauf der ihm zugrundeliegenden Tonelemente. Zwei weitere dieser silbrigen Fischgestalten kamen im Ausstellungsraum noch hinter dem zweiten Raumpfeiler zu liegen und vermitteln diese Zusammenhänge noch einmal vereinzelt und exemplarisch.

Und dann gibt es noch rechts an der Wand ein silbern schimmerndes Diptychon. Vertikal aufragend hängen hier zwei holzgerahmte Bilder, die eine Einheit bilden. Dass sie zusammengehören, beweist das sich über beide Bildflächen erstreckende Bildmotiv. Der hölzerne Hintergrund ist mit Aluminiumfolie bedeckt. Im unteren Teil der beiden Bildflügel ist das Trommelmotiv zu sehen, das man schon von den beiden rüsseltragenden Trommlern kennt. Die Trommel, eigentlich eine Kesselpauke, wird hier beinahe zu einem großen Gefäß und erhält durch ihre Positionierung in der Mitte schon etwas Hieratisches. Dazu passt auch die farbig bunte, wenngleich sehr dezente Gestaltung des silbernen Hintergrunds. Die bunten Flecken muten ein wenig an wie Edelsteine oder Pfauenaugen, die dem Diptychon trotz seiner erkennbaren simplen Materialität ein wenig den Charakter einer Ikone verleihen.

Alle beschriebenen Elemente zusammen bilden eine Ausstellung. Ihr lakonischer Titel „Trommler und Fische“ benennt dabei jedoch nur etwas, was ohnehin zu sehen ist. Doch geht es hier auch gar nicht darum, dieses Ensemble über die bloße Anschauung und bemühte Interpretation hinaus ikonographisch zu würdigen oder mit Bedeutung aufzuladen, oder ihm gar einen tieferen kulturgeschichtlich verankerten Sinn zu unterstellen. Es geht darum, sich auf die Skulpturen einzulassen, den Raum zu durchschreiten, das Ganze auf sich wirken zu lassen. Es gilt die unterschiedlichen Materialaspekte und skulpturalen Auffassungen, die hier zu erkennen sind, aufeinander zu beziehen. Es geht auch darum, in der Kombinatorik von Tapir und Feuerwerkskörper das Prinzip der Bricolage (wieder-) zu erkennen. Ein Begriff, den man als sinnstiftende Kombination des Disparaten (im Sinne von Claude Levi-Strauss)- nicht einfach mit „Bastelei“ übersetzen sollte. Denn Bricolage meint in diesem Sinne auch „Wildes Denken“ als Reflexionsform, welches auch auf wissenschaftlicher Eben in der Lage ist Konventionen zu relativieren und eingefahrene Denkmuster zu sprengen. In diesem Sinne entsteht während der Betrachtung zweier derart miteinander kombinierter Elemente, im Kopf des Betrachters immer etwas Drittes, etwas, das es vorher nicht gab.

Im Rahmen dieser Betrachtung geht es auch darum, im Raum körperlich anwesend zu sein, zwischen den Figuren hin und her zu gehen und sich selbst als Katalysator und Medium unterschiedlichster Erfahrungen zu spüren und erst zu nehmen. Erfahrungen, die man zu Recht als „ästhetisch“ bezeichnen darf. Geht es doch nicht nur darum, die Dinge, die man vor sich sieht „schön“ oder „interessant“ zu finden, sondern sich selbst dabei als diejenigen zu begreifen, die zu derartigen Erfahrungen, Rückschlüssen, Denkbewegungen in der Lage sind. Ich sehe die Dinge nicht interesselos- wohlgefällig vor mir, sondern ich begreife mich dabei selbst als Sehenden. Ich bin in der Lage über mich und die soeben gemachte Wahrnehmung zu reflektieren und mich zu wundern. Letztlich geht es auch in dieser Ausstellung darum, das man als Besucherin und Besucher spürt, dass man sich selbst in die Lage versetzt, besagte ästhetische Erfahrungen und die mit ihnen unabdingbar verbundenen Erkenntnisse am eigenen Leibe und mit dem eigenen Verstand zu machen. Das ist die Voraussetzung für die wiederholte Bekräftigung der am Anfang dieses Essays stehenden Behauptung: Die Ausstellung „Trommler und Fische“ ist wesentlich mehr als die Summe ihrer Einzelteile.

 

Mit freundlicher Unterstützung:

Hans-Georg Lobeck

 

Fotos: Johannes Gramm © 2019
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