Das plastische Werk des in Berlin lebenden und in Braunschweig lehrenden Thomas Rentmeister zeichnet sich durch seinen unorthodoxen, wie auch höchst sensiblen Einsatz verschiedener Alltagsmaterialien aus. Bekannt wurde er durch die sinnstiftende Verwendung von Penaten Creme, Nutella, Zucker und Kartoffelchips (!) sowie durch den überzeugenden skulpturalen Einsatz ausgedienter weißer Kühlschränke. Immer entsteht dabei eine neue überraschende Sinndimension, welche auf den vertrauten Gegenständen und Materialien aufbaut und uns doch einen bisher verborgenen Zugang zur Welt eröffnet.
Für seine raumgreifende Arbeit im Kunstverein Ruhr entschied er sich für sogenanntes Rippenstreckmetall. Dieses in der Baubranche übliche Material, findet gewöhnlich als Unterlage für Wandputz Verwendung. Für Rentmeister aber sind es bestimmte Eigenschaften des Streckmetalls, die es interessant für den künstlerischen Einsatz machen. Es glänzt silbrig, lässt sich dehnen, in alle Richtungen biegen und formen und entwickelt eine sowohl raumgreifende, wie zugleich transparent - luftige, bisweilen filigrane Präsenz. Die scharfkantigen jeweils 250 x 60 cm messenden Gitterbahnen erlauben ihm überraschender Weise ungeahnte Formprozesse. Rentmeister biegt, knetet, knickt und dehnt das Material auf eine in der Baubranche sicher nicht unbedingt übliche und dort auch nicht notwendige Art. Er verbindet die in Form gebrachten Gitterbahnen miteinander zu einem immer größer werdenden Gebilde. Die stetig wachsende Skulptur definiert schließlich den Ausstellungraum vollkommen neu. Wir haben es am Ende mit einer ästhetisch den gesamten Raum dominierenden, im doppelten Sinne „vielschichtigen“ Installation zu tun, die verschiedenste Einblicke in ihr Inneres und spezielle, damit verbundene ästhetische Erfahrungen erlaubt.
Der eigenwillige Titel der Arbeit mag beim ersten Lesen Verwunderung oder auch ein Schmunzeln auszulösen, doch trifft er zugleich das Selbstverständnis und den Werkbegriff des Künstlers. Das englische Tätigkeitswort to put bedeutet gleichzeitig Setzen, Stellen und Legen. Auf diese Weise wird die dreifach gestufte Bedeutung des kurzen Verbs innerhalb der Ausstellung zum künstlerischen Programm. Das, was Rentmeister für den Essener Raum realisiert hat, gleicht in der Tat einem präzisen Positionieren, Stellen und Auslegen von Material. Eine solche Vorgehensweise unterscheidet sich prinzipiell von einem traditionellen „Gestaltungsprozess“, bei dem aus einem Material oder Werkstoff eine vorher festgelegte und hinterher wiedererkennbare Form herausgearbeitet wird. Rentmeisters Haltung ist so gesehen der Grundhaltung der Minimal Art ähnlich, ging es dieser Kunstrichtung doch auch um eine zunächst von jeder Bedeutung und Repräsentationspflicht befreite künstlerische Setzung und die Verwendung von in der Regel industriell vorgefertigten, also bereits vorhandenen Materialien, die sich selbst thematisieren.
Doch in mancherlei Hinsicht wiederum unterscheidet sich seine Vorgehensweise und die dahinterstehende Haltung von derjenigen der Künstler der Minimal Art. Seine Methode besteht im Falle der Essener Arbeit einerseits darin, die Bahnen des Gitterwerks nicht mit der Blechschere „gestalterisch“ zu zerschneiden, sondern in ihrer Gesamtlänge zu belassen. Doch andererseits bearbeitet und verformt er dieses Material mit seinen durch Lederhandschuhe geschützten Händen. Er bringt die Grundelemente in Formen, die sich erst während des Arbeitsprozesses, also aus ihm heraus ergeben, um sie schließlich sinnvoll und sinnstiftend miteinander zu verbinden. Auf diese Weise entsteht in einem neun Tage dauernden kontinuierlichen offenen Prozess, in dem immer wieder neue Richtungen eingeschlagen werden, nach und nach ein riesiger Raumkörper, der die linke Hälfte des Ausstellungsraumes fast ganz ausfüllt.
Ein besonderes Merkmal dieser Arbeit sind die sichtbaren, nach und nach entstandenen Abteilungen, oder Räume innerhalb dieses Raumkörpers, welche zusammen wie ein vielfach verschachteltes Kontinuum wirken. Mehrere dieser Kammern oder Nischen enthalten als dunkle Silhouetten erkennbare, nicht ohne Weiteres zu identifizierende Gegenstände. Es sind einstige, vor längerer Zeit ausgemusterte Kleidungsstücke des Künstlers, die so in die Raumskulptur eingeschrieben und zu ihrem Bestandteil werden. Bisweilen sehen diese getragenen Textilien aus wie seltsame dunkle Bewohner des komplexen Gitterwerkes und seine Kammern. Wie schwarze an die Person des Künstlers gebundene Punkte akzentuieren sie unsere Blicke durch die Schraffuren der netzartigen Gitterbahnen. Man ist mal mehr, mal weniger in der Lage bis zu ihnen vorzudringen. Immer wieder muss man, um einen idealen Blickwinkel zu erhalten, die netzartigen Strukturen und Schraffuren mehrerer Schichten Streckmetall durchdringen. Doch immer wieder entziehen sich die Gegenstände ihrer genauen Fixierung oder konkreten Identifizierung, bleiben amorphe Fixpunkte innerhalb der silbrig glänzenden Textur.
Bewegt man sich als Betrachterin und Betrachter vor diesem Werk, durchmisst den Raum von vorn nach hinten, geht dabei ein wenig in die Knie, oder blickt diagonal durch das Gitterwerk, um neue Blickwinkel auszuloten, beginnt das, was man zurecht eine „ästhetische Erfahrung“ nennen kann. Denn man wird gewahr, dass die eigene körperliche Anwesenheit im Raum zu einer Grundbedingung unterschiedlicher, einander ergänzender, aber zum Teil auch widersprechender Einblicke wird. Dabei spielen natürlich die sich wie die dichten Linien einer Schraffur überlagernden Gitternetze eine entscheidende Rolle. Sie addieren sich gegenseitig auf, bilden überraschende moiréartige Strukturen, welche mehr oder weniger dicht, also opak oder transparent sind. Selbst die kleinste Bewegung des Kopfes vermag schon höchst unterschiedliche ineinander übergehende Erfahrungen auszulösen. Ein wichtiger Faktor kommt hinzu: Die Eigentätigkeit des Auges, also unsere Fähigkeit das weiter hinten Liegende zu fokussieren, optisch „scharf“ zu stellen, erzeugt überraschende Einsichten und Durchblicke. Die sich derart permanent variierenden Eindrücke bleiben nicht auf der Oberfläche, sondern werden uns bewusst.
Die Betrachterinnen und Betrachter beginnen zu begreifen, dass sie es selbst sind, die diese unterschiedlichsten Erfahrungen am stets gleichbleibenden Objekt machen können. Sie beginnen also nicht nur zu betrachten, was sie da vor sich sehen, sondern beginnen zugleich über diesen vielschichtigen Wahrnehmungsvorgang nachzudenken. Die Bedingungen der Möglichkeiten dieser soeben gemachten vielschichtigen Erfahrung werden in dieser selbst nachvollziehbar und zum Bestandteil der gesamten Wahrnehmung. Dazu gehört auch das Begreifen seiner körperlichen Anwesenheit im Raum und die Einsicht, dass eine Betrachterin oder ein Betrachter die/der sich gerade an einer anderen Stelle im Raum befindet, die Raumarbeit vollkommen anders als man selbst sehen muss. Die Konsequenz daraus ist, dem/der Anderen eine von der eigenen Sicht differierende Sicht der vorgegebenen Situation einzuräumen. Hier aber gelangt das ästhetische Räsonnement wie von selbst zu einer ethischen Befragung der Situation. Sie wächst somit über die rein subjektive „hedonistische“ Betrachtung hinaus, weil sie den Standpunkt und die Ansicht eines Anderen einzubeziehen vermag. PUTPUTPUT setzenstellenlegen ermöglicht auch außerhalb der offiziellen Öffnungszeiten des Kunstvereins einen Einblick in den bis in die Nacht erleuchteten Schaufensterraum: Ausstellungsdauer: bis 8. September 2019.
Thomas Rentmeister äußert sich selbst zu seiner Arbeit in einem Video von Ralph Goertz, das beim Aufbau der Ausstellung entstanden ist.